Michael Mandiberg
Virtual Background, 13.10.2020
Während des Lockdowns malte der amerikanische Künstler Michael Mandiberg den Hintergrund seiner Gesprächspartner:innen während Videoanrufen und übersetzte diese virtuelle Szenerie in etwas haptisches. Für die HEK Net Works Serie stellte Mandiberg einige von diesen Bildern als virtuellen Hintergrund zur Verfügung, die man sich per Download auf den eigenen Computer spielen konnte. Die Virtual Backgrounds von Mandiberg konnten vom 13.10. bis 10.11.2020 hier heruntergeladen und als virtueller Hintergrund für Online-Videoanrufe verwendet werden.
Michael Mandiberg ist ein interdisziplinärer Künstler, der in seiner Arbeit die sozio-politischen Dimensionen der Informationstechnologie wie auch ihre poetischen Ausdrucksformen reflektiert. Er entwickelte beispielsweise eine Software, die alle Preise auf einer beliebigen Webseite in ihren Äquivalenzwert in Ölfässern umrechnet und damit auf eine anhaltende ökologische Krise aufmerksam macht (Oil Standard, 2005). Mandiberg ist ausserdem Mitbegründer der Initiative Art+Feminism (ab 2013), die darauf abzielt, die Präsenz von Frauen in der Online-Enzyklopädie Wikipedia zu fördern. Mandiberg schrieb auch eine Software, die die gesamte Online-Enzyklopädie zwischen 2009 und 2016 in 7.473 Bände mit 700 Seiten umwandelte und damit die Inkongruenz einer solchen Operation unterstreicht (Print Wikipedia, 2009-16). Sein jüngstes Werk, Postmodern Times (2016-18), besteht aus Kurzfilmen, die auf der Online-Plattform Fiverr.com in Auftrag gegeben wurden um einen Film zu schaffen, der das Thema von Charlie Chaplins berühmtem Film Modern Times aufgreift und ein aktuelles Porträt der Arbeit im digitalen Zeitalter vorschlägt.
Statement des Künstlers:
«Als New York während COVID-19 pausierte, hörten meine menschlichen Kontakte und meine Kommunikation auf. Wie viele Informationsarbeitende fand ich mich in stundenlangen täglichen Videoanrufen wieder. Ein Wechsel von bekannten Gesichtern, die mir in unbekannten Räumen gegenüber sassen, unterbrach meinen Arbeitstag. Ich besuchte behelfsmässige Büroräume, die Küchen der Mitarbeitenden und die Kinderschlafzimmer meiner Studierenden und beobachtete die Art und Weise, wie Menschen ihre Umgebung für einen Anruf gestalten oder völlig vernachlässigen. Als Reaktion darauf habe ich eine Reihe von Gemälden begonnen, die diese Interaktionen festhalten und sammeln. Jedes Bild entspricht einem der Videoanrufe, die ich während der Quarantäne gemacht habe und zeigt das Zimmer der Person, die ich angerufen habe. In der Grösse von 6" x 11" spiegelt jedes Bild die 9:16-Proportionen des Zoom-Aufrufs wider. Wenn möglich, habe ich versucht, jedes Bild in der Zeitspanne des Videoanrufs fertigzustellen, aus der es stammt. Wenn die Anforderungen meines Aufrufs mich jedoch vom Malen abhielten, liess ich die Gemälde nachträglich fertig stellen. Ich male diese Räume ohne die Person, die vor der Kamera sitzt. Dabei dient diese Serie als Aufzeichnung von Interaktionen, die durch Abwesenheit gekennzeichnet sind. Eine Abwesenheit vermitteln auch minderwertige Objektive, Kompressionsalgorithmen und abgehackte Verbindungen, die off-weisse Farben in hell-rosa, gelbe und kühle Blautöne verwandeln. Diese Malpraxis hat mir geholfen, mit der kognitiven Erschöpfung durch all die Videoanrufe und der Angst vor der Selbstisolation fertig zu werden, während die Sirenen durch die Strassen um mich herum heulten. Ich weiss, dass Isolation ein Privileg ist, aber für mich ist sie ein notwendiges Privileg, da ich immungeschwächt bin. Das Malen dieser Leinwände war ein Versuch, die Erinnerung zu protokollieren, so sehr es auch eine Praxis der Selbstpflege und Bewahrung ist. Die Zeit hat sich in Ermangelung einer regelmässigen Routine verschoben, und ich habe den Überblick verloren, welcher Tag heute ist. Diese Gemälde helfen mir, den Überblick über digitale Erfahrungen zu behalten, die mir eher entgleiten und vergessen werden. Sie sind Erinnerungen und Mahnmale.»